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6. April 2012 5 06 /04 /April /2012 21:25

Der Schriftsteller Günter Grass hat „mit letzter Tinte“ wie er schrieb ein Gedicht verfasst, dass kollektive Hasstiraden in den Medien hervorrief. Allen voran der Antikommunist Henry M. Broder: „Günter Grass – Nicht ganz dicht, aber ein Dichter“ schreibt er in der „Welt“ und nennt den alten, mutigen Mann einen Antisemiten, der israelische Botschafter vergleicht den Dichter gar mit denen, die den vorgeblich jüdischen Ritualmord an christlichen Kindern erfunden haben. Die „Zeit“ verrenkt sich mit dem pseudo-geistreichen Titel vom „lyrischen Präventivschlag des Günter Grass“, dem Spiegel fiel auch nichts Besseres ein, er titelte mit: „Lyrischer Erstschlag“. Der Zentralrat der Juden in Deutschland spricht gar davon, dies sei ein Hass-Gedicht und ein durchschaubares Schmierentheater. Und die meisten entblöden sich nicht, daran zu erinnern, dass Günter Grass im Alter von 17 Jahren Mitglied der Waffen-SS war.

Als ob dies eine Kontinuität wäre, vom 17-Jährigen zum 85-Jährigen. Als hätte in den dazwischenliegenden 68 Jahren keine Lebensleistung existiert, als gäbe es den antifaschistischen Schriftsteller Grass nicht, dessen Werke immer wieder den Nationalsozialismus thematisieren und, wie beispielsweise "Im Krebsgang", 2002, gegen das Vergessen anschreiben.
Hat denn diesen Geiferern noch niemand gesagt, dass Philosemitismus auch eine Form von Antisemitismus ist?

Hier jetzt ohne weiteren Kommentar das Gedicht, es erschien in der "Süddeutschen Zeitung"

und der "La Repubblica".


"Was gesagt werden muss"                                                  

von Günter Grass, April 2012

Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er missachtet wird;
das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muss.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muss,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.

(Quelle: Süddeutsche Zeitung)

 

English Translation:

The writer Guenter Grass, "with last ink" wrote a poem, that evoked collective hate answers in the german mainstream media. Above all, the anti-Communist, Henry M. Broder, "Günter Grass - Not quite tight (in German “dicht”, means he is crazy), but a poet (in German: “Dichter”)," he writes in the "Die Welt" and called the old, brave man an anti-Semite. The ambassador of Israel compares the poet even with those who have invented the alleged Jewish ritual murder of Christian children. The newspaper "Die Zeit" dislocated with the pseudo-witty title of "lyrical-emptive strike of Grass", “Der Spiegel” had no better idea, he ran the headline: "Lyrical first strike". The Central Council of Jews in Germany even said, this was a “hate-poem”. And most of them are not ashamed to remember that Gunter Grass was at the age of 17 years a member of the Nazi Waffen-SS.

As if this were a continuity from the 17-year-olds to the 85-year-old men. As if in the intervening 68 years nothing happened, as if. there was not the anti-Fascist writer Grass, whose works repeatedly thematize the Nazis and, wrote against forgetting, as for example in “Im Krebsgang” ("Turning Back the Clock"), 2002. Why nobody explain these drivellers that philo-Semitism is also a form of anti-Semitism?

Here now, without further comment the poem, which appeared in the "Sueddeutsche Zeitung" and "La Repubblica".
 

 

Gunter Grass poem English translation "What must be said" (English translation of the poem by Alessandro Ghebreigziabiher via Gara Pierre-David Takpara (Le Coursier) http://www.facebook.com/LeCoursier)


 



What must be said

Why I am silent, silent for too much time,
how much is clear and we made it
in war games, where, as survivors,
we are just the footnotes.

That is the claimed right to the formal preventive aggression
which could erase the Iranian people
dominated by a bouncer and moved to an organized jubilation,
because in the area of his competence there is
the construction of the atomic bomb.

And then why do I avoid myself
to call the other country with its name,
where since years – even if secretly covered -
there is an increasing nuclear power,
without control, because unreachable
by every inspection?

I feel the everybody silence on this state of affairs,
which my silence is slave to,
as an oppressive lie and an inhibition that presents punishment
we don’t pay attention to;
the verdict “anti-Semitism” is common.

Now, since my country,
from time to time touched by unique and exclusive crimes,
obliged to justify itself,
again for pure business aims - even if
with fast tongue we call it “reparation” -
should deliver another submarine to Israel,
with the specialty of addressing
annihilating warheads where the
existence of one atomic bomb is not proved
but it wants evidence as a scarecrow,
I say what must be said.

Why did I stay silent until now?
Because the thought about my origin,
burdened by an unclearing stain,
had avoiding to wait this fact
like a truth declared by the State of Israel
that I want to be connected to.

Why did I say it only now,
old and with the last ink:
the nuclear power of Israel
threat the world peace?
Because it must be said
what tomorrow will be too late;
Because - as Germans and with
enough faults on the back -
we might also become deliverers of a predictable
crime, and no excuse would erase our complicity.

And I admit: I won’t be silent
because I had enough of the Western hypocrisy;
Because I wish that many will want
to get rid of the silence,
exhorting the cause of a recognizable
risk to the abdication, asking that a free and permanent control
of the Israel atomic power
and the Iran nuclear bases
will be made by both the governments
with an international supervision.

Only in this way, Israelis, Palestinians, and everybody,
all people living hostile face to face in that
country occupied by the craziness,
will have a way out,
so us too.

Translation by Alessandro Ghebreigziabiher

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